Schon lange freue ich mich auf dieses Trekking in Norwegen. Das Land der Trolle und dessen Mythen wollte ich schon immer kennenlernen. Trotzdem überkommen mich gemischte Gefühle, als ich die beiden großen Rucksäcke meines Mannes und mir im Wohnzimmer stehen sehe. Alles, was wir in den nächsten sechs Tagen brauchen, befindet sich auf unserem Rücken. Das Zelt, die Schlafsäcke, Isomatten, die Campingküche, das Gas, die Kleidung und vor allem Proviant. Essen für zwei Personen, für sechs Tage. Wir teilen das Gewicht auf, doch hin und wieder habe ich Zweifel, ob ich den schweren Rucksack wirklich durch Norwegens Wildnis tragen kann. Schlussendlich ist es wohl das, was wir suchen. Die Herausforderung, das Ausloten unserer Grenzen. Mit dem Gewicht auf dem Rücken werden wir nur langsam vorwärtskommen, planen daher genügend Zeit ein. Zeitdruck zu haben wäre eine zusätzliche Last auf unseren Schultern.
In Oslo angekommen übernachten wir das letzte Mal vor der Tour in einem angenehmen Bett. Die Nacht ist kurz, denn schon am frühen Morgen geht es nach Gjendesheim, von hier aus soll unser Trekking starten. Zur Begrüßung ziehen sich dichte Wolken über unseren Köpfen zusammen. Zu Beginn noch ein sanfter Nieselregen prasselt nun ein starker Regen auf unsere Gesichter. Des Wetters zum Trotz marschieren wir los in Richtung Memburu. Wir entscheiden uns für die Route, die am Gjendesee entlang führt. Die Strecke von Gjendesheim über Besseggen ist ein bekanntes Trekking in Norwegen, der Aufstieg jedoch steil. Mit unserem schweren Gepäck auf dem Rücken ziehen wir die einsame und gemütliche Variante vor. Die Landschaft ist einmalig. Umgeben von Bergen, entlang des wunderschönen Sees ist das schlechte Wetter schnell vergessen. Einige Stunden später sieht es denn auch schon besser aus und die Wolken verziehen sich. Gerade richtig, um unser Zelt am Seeufer aufzuschlagen, einen heißen Kaffee zu kochen und uns der Katzenwäsche zu widmen, bevor es erneut in strömen vom Himmel giesst. Memburu erreichen wir an diesem Tag nicht mehr. Erschöpft wickeln wir uns in unsere Schlafsäcke.
Sonnenstrahlen erwärmen das Zelt und wecken uns auf. Wir starten ohne Regen weiter in Richtung Memburu. Es ist der zweite Tag unseres Abenteuers. Als wir in Memburu ankommen, sehne ich mich beim Anblick der „Turisthytte“ sogleich nach einem Bett und einem ordentlichen Abendessen. Wie schnell man so etwas vermissen kann, obwohl man es doch eben noch hatte. Die beliebte Route von Memburu über den Grat bis nach Gjendebu umgehen wir, indem wir uns für die wunderschöne Region von Muru entscheiden. Wir lassen Memburu hinter uns und wandern an saftig grünen Wiesen, rauschenden Flüssen und blauen Seen vorbei. Der Nebel und der wieder einsetzende Regen tun der Schönheit dieser Gegend nichts ab. Im Gegenteil. Eine mystische Stimmung breitet sich aus. Während mehreren Stunden sind wir die einzigen Wanderer, die in dieser Wildnis Schritt für Schritt im Regen laufen. Der Regen macht mir nichts mehr aus. Sanft steigt der Weg an, um auf den Grat zu gelangen, der sich mit der klassischen Route kreuzt. Für heute jedoch genug gewandert. Wir entscheiden unser Nachtlager an einer idyllischen Lagune aufzuschlagen. Meine Kleider sind feucht vom Regen, mein Gesicht klitschnass. Ich fühle mich verschwitzt und meine Haare sahen auch schon bessere Tage. Mein Blick schweift über die Lagune. Der Regenlose Moment lockt. Ohne das Wasser auch nur einmal berührt zu haben spüre ich die Kälte und es scheint, als ob ich nur eine Wahl habe damit mein Wohlfühlfaktor steigt. Baden in kaltem Wasser soll das Immunsystem stärken. Kopf ausschalten und den Körper funktionieren lassen. Anfangs noch zögernd, stapfe ich in das Wasser und tauche in sekundenschnelle unter bis meine Haare durchnässt sind, damit ich Bibbernd die Gelegenheit habe das biologisch abbaubare Shampoo auszuprobieren. Schnell wickle ich mich in das Badetuch und verkrieche mich im Zelt. Die wohlige Wärme die der kochende Topf im Zelt verbreitet und die trockenen, warmen Kleider sind in diesem Moment ein echter Luxus. Es gibt nichts Schöneres, als dieses Gefühl. Als Highlight werden wir für all unsere Bemühungen belohnt. Eine Herde Rentiere schnuppert in der Nähe, neugierig, wer in ihrem Revier nächtigt. Für uns ein ganz besonderes Erlebnis.
Während sich meine Gedanken am nächsten Morgen um frisch gepressten Orangensaft und ein Stück Brot drehen, schütte ich die Haferflocken zusammen mit dem Milchpulver in meine Tasse aus Plastik. Am dritten Tag, ich muss es zugeben, sitzt mir der Rucksack schwer im Rücken. Er kommt mir viel schwerer vor als die anderen beiden Tage. Meine Schultern schmerzen, doch eine andere Wahl habe ich nicht. Wir sind in der Nähe von Gjendebu, möchten allerdings den Umweg über Storådalen laufen. Während einer kurzen Zeit wandern wir mit anderen Trekkingbegeisterten zusammen. Die Sonne guckt hinter den Wolken hervor. Ich fühle die wohlige, angenehme Wärme auf meinem Körper. Bevor ein leichter Abstieg uns durch das Tal Storådalen führt, kreuzt sich unser Weg mit demjenigen von Hamstern und weiteren Rentieren. Wir verlassen den Grat und wandern talabwärts. Nach eher karger, steiniger Landschaft finden wir uns plötzlich in einem Wald voller Vegetation. Wir wandern an einem Fluss entlang, umgeben von Bergen und Wäldern. Ein faszinierendes Schauspiel von Licht und Schatten zeichnet sich an den Berghängen ab. In Gjendebu angekommen, schlagen wir unser Zelt auf und legen einen Ruhetag ein. Wir spülen unsere wenigen Kleider im Fluss aus, werden mit einem herrlichen, sonnigen Tag verwöhnt und die Kleider trocknen schnell. Während ich auf dem harten Boden liege und die Sonne genieße, stelle ich mir vor meine Salzstängel wären Teil eines Cocktails, der jeden Moment serviert wird.
Auf der klassischen Route geht es weiter zu unserem nächsten Ziel. Fondsbu. Das Veslådalen überrascht uns mit einer üppigen Flora. Die Landschaft wird in einem leichten Anstieg immer karger, führt aber an schönen Seen und Flüssen vorbei. Die Sonne scheint auf unserer Seite und die Aussicht ist fantastisch. In der Ruhe finden wir Zeit, unsere Gedanken zu sortieren. Ich nehme mir fest vor, meiner Dusche und meinem Bett mehr Dankbarkeit entgegenzubringen, wenn wir wieder zu Hause sind. Trotzdem. Dieses Gefühl, diese Neugier, Schritt für Schritt voranzuschreiten um zu sehen was sich hinter der nächsten Kurve, dem nächsten Berg verbirgt. Das Gefühl der Erschöpfung, das Essen das nirgends so gut schmeckt wie in den Bergen. Ich liebe diese Momente. Schon bald sehen wir unter uns der Bygdin See, an dessen Ufern wir unser Zelt für die letzte Nacht aufschlagen, bevor wir in Fondsbu, unserem Ziel ankommen. Unter dem Sternenhimmel fragen wir uns, welches Trekking wir wohl als nächstes Entdecken könnten.
Am nächsten Morgen ist es kalt und regnerisch. Ich ziehe mir meine Mütze tief in das Gesicht. Jetzt, wo unser Ziel in Sichtweite ist, macht sich ein Gefühl der Erschöpfung breit. Der verbleibende kurze Streckenabschnitt und die sichtbare Turisthytte in Fondsbu lassen mich ungeduldig werden. Trotz der frischen Aussentemperatur will ich nichts weiter als ein kaltes Bier, Fondsbu rückt immer näher. Dort angekommen setzen wir uns an einen der heimeligen Tische, in der Nähe des wärmenden Kamins. Es ist das wohl teuerste Bier das wir je in unserem Leben getrunken haben – doch mit Abstand wohl das Beste. Wir stossen auf an und lehnen uns glücklich und zufrieden zurück. Es bleibt noch genügend Zeit bis der Bus kommt, der uns nach Bergen bringen soll. Ich freue mich auf die Fahrt, am meisten freue ich mich aber auf ein gutes Essen. Pommes. Ich möchte Pommes mit viel Ketchup und Mayonnaise. Anschließend kann ich es kaum erwarten mich unter eine warme Dusche zu stellen. Zurück in die Zivilisation nach einem wunderschönen Trekking.
Anmerkung: Im Nationalpark Jotunheimen gibt es „Turisthytten“ in welchen man eine bequeme Unterkunft findet. Wer will, kann Zelt und Campingausrüstung also zu Hause lassen. Vielleicht habt ihr aber auch Tipps für tolle Utensilien die klein, leicht und kompakt sind? Was für Lebensmittel nehmt ihr auf ein mehrtägiges Trekking mit?
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